Ich möchte „schwierige“ Schüler besser verstehen können


Nicht selten berichten Lehrpersonen, dass sie in ihrem Studium zwar gut auf die Vermittlung von Lernstoffen vorbereitet wurden, aber nicht darauf, wie man vernachlässigte, entmutigte oder nervöse Kinder erfassen und zum Lernen anleiten kann. Sie fühlen sich von diesen provoziert, abgelehnt oder im Fortkommen mit dem Lernstoff behindert. Ein gemeinsamer Blick auf die Dynamik in der Klasse und die Lebensmelodie einzelner Schüler und Schülerinnen kann den Boden für ein erfüllteres Lehrerdasein und mehr Freude am Schulalltag vermitteln. Ein Beispiel:

Eine junge Grundschullehrerin ist ratlos. Sie hat drei Jungen in der ersten Klasse, die sehr nervös sind. Oft fühlt sie sich von ihnen provoziert. Bei der kleinsten Kleinigkeit „rasten sie aus“. Sie werfen schnell mit Schimpfwörtern um sich und gehen auch durchaus handgreiflich aufeinander los. Alles widerspricht natürlich den Klassenregeln. Häufig gelingt es ihr nicht, mit den ihr zur Verfügung stehenden Maßnahmen, Appellen und Ermahnungen die Klasse wieder zu beruhigen. An Lernen sei dann nicht mehr zu denken. Sie würde sich oft ausgeliefert und unfähig fühlen. Sie würde sogar schon darüber nachdenken, ob das der richtige Beruf für sie sei.
 
Ich schlage vor, das wir uns die Schüler nacheinander ansehen, bevor wir uns ihrer eigenen Mutlosigkeit zuwenden. Damit ist sie einverstanden. Sie erzählt mir zunächst von Omar. Omar ist sieben Jahre alt und hat bereits die Vorschulklasse der Schule besucht. Auch da war Omar sozial auffällig. Die Familie kommt aus Syrien. Omar hat zwei ältere Schwestern und einen um fast fünf Jahre jüngeren Bruder. Anhand dieser Eckdaten aus der Biographie von Omar und dem, was die Lehrerin noch über sein Verhalten berichtet, kann man ein Bild entwickeln, wie es ihm heute geht. Sehr wahrscheinlich hat er das Leben so kennengelernt: Als erster Sohn in einer muslimischen Familie mit zwei älteren Schwestern war er fast fünf Jahre lang der alleinige „Prinz“. Wenn er einen Wunsch hatte wurde der erfüllt, oft bevor er ihn ausgesprochen hatte. Dann wird er älter, ein Bruder wird geboren und die Mutter verlässt ihn fast gleichzeitig. Sie gibt ihn in die Vorschule! Was für eine Enttäuschung! Was für eine Not! Ihm ist sofort klar: Ich werde nicht mehr genug beachtet, ich werde zurückgesetzt! Das gibt eine Aufregung im Leben. Das Kind setzt alles daran, wieder das zu erreichen, was das Leben angenehm gemacht hat! Bis heute hat er nichts anderes zur Verfügung als durch Wirbel auf sich aufmerksam zu machen, wenn er sich zu wenig beachtet fühlt. Schritt für Schritt erarbeiten wir uns die Gefühlslagen der „auffälligen“ Kinder und wie man in der Klasse über die Konflikte spricht. In der Praxis merkt die junge Lehrerin, dass die neue Sichtweise auf die Schüler hilfreich ist. Sie gewinnt mehr Zutrauen in ihre Fähigkeiten.


Kommen wir ins Gespräch:


Weitere Beispiele aus meiner Erziehungs- und Lernberatung: